Künstlerin und demokratische Revolutionärin - Vortrag von Professor Hermann Rösch über Johanna Kinkel

Künstlerin und demokratische Revolutionärin - Vortrag von Professor Hermann Rösch über Johanna Kinkel

(ES/de)Vor rund zwei Jahren hatte Hermann Rösch, emeritierter Ordinarius für Informationswissenschaften an der TH Köln, über Gottfried Kinkel berichtet, einen zu seiner Zeit berühmten Theologen, Dichter und Revolutionär, dessen Namen eine Oberkasseler Grundschule trägt.

 

Jetzt stellte er („Ein Schicksal auch ist das Exil“) uns Kinkels Frau Johanna vor, vielseitig begabt als Komponistin, Musikwissenschaftlerin, Dichterin, Journalistin und eine revolutionär gesinnte Verfechterin von Demokratie, besserer sozialer Verhältnisse und stärkerer gesellschaftlicher Rechte der Frauen. Der Referent führte seine zahlreichen Zuhörer zunächst mit Johanna Kinkels Vertonung des Gedichtes „Loreley“ von Heinrich Heine in den Abend ein.

 

Johanna Mockel, 1810 in Bonn geboren, Tochter eines Gymnasiallehrers, wuchs in einer streng katholischen Familie auf und wurde im Sinne eines konservativen Frauenbildes erzogen. Nach den Vorstellungen ihrer Mutter sollte aus ihr eine gute Hausfrau und Gattin werden. Sie erhielt Musikunterricht, um im Salon Gefallen finden zu können – nicht um Künstlerin zu werden – und die ihr vermittelte kulturelle Bildung sollte sie zu einem angemessenen Zwiegespräch mit dem späteren Ehemann in den Stand setzen. Ihre musikalische Begabung jedoch ließ sich nicht verbergen und fiel rasch auf: Franz Anton Ries, bekannt als Lehrer Beethovens, übertrug der erst 19jährigen die Chorleitung seines Gesangvereins.

 

1832 heiratete sie den Kölner Buch- und Musikalienhändler Mathieux. Nach sechs Monaten holten die Eltern ihre schwer erkrankte Tochter nach Hause zurück. Ein Arzt attestierte eine Nervenzerrüttung mit Auszehrungsfieber, hervorgerufen durch Misshandlungen mittels ausgesuchter Quälereien. 1836 lernte sie in Frankfurt Georg Brentano sowie Dorothea Schlegel geb. Mendelssohn kennen, die sie mit dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy zusammenführte. Auf dessen Rat zog sie nach Berlin, wo sie Anschluss an den von Bettina von Arnim betriebenen berühmten Salon fand, in dem die Familie des verstorbenen Philosophen Hegel, der berühmte Rechtsphilosoph Frhr.von Savigny sowie die Dichter Emanuel Geibel und Adalbert von Chamisso verkehrten. Sie glänzte als ungezwungene lustige Rheinländerin mit blendendem Esprit. Die andere Seite ihres Wesens, die Neigung zur Melancholie mit depressiven Phasen, lernte der Salon nicht kennen.

 

1839 kehrte sie, da bekannt wurde, dass ihr erster Mann in eine Scheidung einwilligen wolle, nach Bonn zurück. Sie lernte Gottfried Kinkel kennen, der ihr als junger Schüler ihres Vaters bereits einmal flüchtig begegnet war. Die rasch offensichtlichen gemeinsamen künstlerischen und politischen Interessen führten zur Herausgabe des Blattes „Maikäfer“, das sich als Zeitschrift für Nicht-Philister bezeichnete, bei Licht besehen indessen keine Zeitschrift war: Ein handschriftliches Exemplar zirkulierte bei den Lesern. Zu den Autoren zählten neben Johanna Mockel und Gottfried Kinkel auch Karl Simrock und der später weltberühmte Carl Jacob Burckhardt. Nicht zu Johannas Freunden zählte Karl Marx, der sie abstoßend nannte, eine vulgäre Erscheinung, durch Erfahrungen verbittert.

 

Im September 1840 kam es bei einem Versuch, mit einem Ruderboot bei einbrechender Dunkelheit den Rhein zu überqueren, in der Höhe von Plittersdorf zu einer Kollision mit einem der neuen Dampfschiffe. Die Nichtschwimmerin Johanna ging ebenso wie Gottfried über Bord und wurde von dem kräftigen passionierten Schwimmer gerettet. Im Augenblick der glücklich überwundenen Gefahr gestanden sie sich ihre Liebe.

 

Die Beziehung einer frisch geschiedenen Katholikin mit einem Dozenten der evangelischen theologischen Fakultät der Universität Bonn wurde in Bonn zum Skandal. Der Widerstand der guten Gesellschaft stärkte freilich nur den Zusammenhalt zweier nonkonformistischer Geister. Johanna wurde evangelisch. Carl Jacob Burckhardt und Emanuel Geibel waren Trauzeugen der 1842 geschlossenen Ehe; in den Folgejahren brachte Johanna vier Kinder zur Welt. Zwei Kindermädchen und eine Amme erleichterten das Leben. Die Verbindung wurde nicht von allen gutgeheißen: Der bekannte evangelische Theologe Wichern nannte Johanna eine interessante und geistreiche Frau, die Gottfried in ihre Netze zu verstricken gewusst habe.

 

Im Revolutionsjahr 1848 stand das Ehepaar entschieden auf der Seite der demokratischen Bewegung. In der von Johanna redigierten Zeitschrift Spartakus wurde „der Kampf des Bedürfnisses gegen den Überfluss, der Arbeit gegen den Müßiggang“ propagiert. 1849 formulierte Johanna: „In Gottes Namen denn, mit dem Kopf durch die Wände.“

 

Nachdem 1849 Gottfried bei den Aufständen in Baden festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, registrierte sie bei sich einen „eiskalten Zorn“. Sie arbeitete zusammen mit Carl Schurz die Pläne für die Befreiung aus dem Spandauer Zuchthaus aus. Nach gelungener Flucht folgte sie ihm 1851 mit ihren Kindern nach London. Dort hatte sich aus ganz Europa eine bunte Schar von Emigranten versammelt, die die bestehenden Verhältnisse allesamt ablehnten; über die erwünschte Neuordnung waren sozialistische Demokraten, Kommunisten und Anarchisten indes tief gespalten. Als Napoleon III. im Dezember 1851 in Paris erfolgreich putschte und sich im Jahr darauf zum Kaiser proklamieren ließ, schwanden Johannas Hoffnungen auf eine schnelle Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Gottfried folgte fortan, solange sie lebte, ihrem Rat, auf politische Umtriebe zu verzichten. Das führte zu derbem Spott. In einer Karikatur wird Gottfried als Tanzbär von Johanna an der Kette gehalten.

 

Bei Johanna wechselten sich Höhen und Tiefen in London ab. Während der längeren Abwesenheit ihres Mannes - der sich 1851/52 mehrere Monate in den USA aufgehalten hatte, um Finanzmittel für eine Revolution in Deutschland aufzutreiben – litt sie unter Depressionen. 1856 überlebte sie einen Herzinfarkt. Im Hinblick auf ihre musikalische Betätigung jedoch waren die Jahre in London sehr produktiv; sie begeisterte sich unverändert für Beethoven, lehnte aber die Musik von Richard Wagner ab. Mit Gottfried, schrieb sie, wachse sie mehr und mehr zusammen, sie pflegten nur noch gemeinsame Interessen.

 

1858 fand sie bei einem Sturz aus ihrem im 3. Stock gelegenen Schlafzimmer den Tod: vielleicht Suizid, vielleicht ein Unglück. Marx rief ihr ein „Die alte Vettel“ hinterher, Ferdinand Freiligrath dagegen verfasste zu ihrer Beerdigung ein Gedicht.

 

Auf Fragen aus dem Publikum erläuterte Prof. Rösch, dass es in Johannas Familie über die Erziehung der Kinder unterschiedliche Auffassungen gegeben habe. Die Großmutter habe körperliche Züchtigung abgelehnt, die Mutter befürwortet. Die Idee des Kindergartens habe aus Deutschland ihren Siegeszug in den westlichen Ländern angetreten. Die Ehefrau von Carl Schurz habe den ersten Kindergarten in New York gegründet, und Johannas Kinder hätten in London eine Kita besucht.

Von den Kindern sei keines annähernd so berühmt geworden wie die Eltern. Adele sei eine recht erfolgreiche Pianistin gewesen, ihre Schwester früh verstorben. Die wissenschaftliche Laufbahn des älteren Sohns sei unbedeutend geblieben. Der jüngere Sohn, als Ingenieur im Auftrag der Fa. Siemens zwischenzeitlich in Russland tätig, habe sich am Hochzeitstag der Eltern erschossen. Die von Marx verächtlich geäußerte Geringschätzung Johannas habe neben persönlichen auch politische Ursachen gehabt. Das Ehepaar Kinkel habe vom Kommunistischen Manifest nicht viel gehalten und es für erforderlich angesehen, für die angestrebten Veränderungen Mehrheiten zu finden.

 

Langer Beifall dankte dem Referenten für die lebensnah unterbreitete Biographie einer starken Frau, die sich in der Bonner Gesellschaft gegen Mitte des 19. Jahrhunderts – war es nicht die gute alte Zeit einer aufstrebenden Universitätsstadt? - von Philistern umgeben sah.