Ein durchaus kenntnisreiches Gespräch über Fußballvereine im Ruhrgebiet, das Erich Honecker als junger kommunistischer Revolutionär öfters besucht hatte, führte letztlich dazu, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Mai 1988 eine „private“, d.h. inoffizielle und auch deshalb denkwürdige Reise in die DDR, vornehmlich nach Dresden machte.
Von dieser Reise berichtete kürzlich Staatssekretär a.D. Friedhelm Ost, der damalige Regierungssprecher Kohls vor zahlreichen Mitgliedern und Freunden der LESE in Bonn. Die Veranstaltung wurde kenntnis- und vor allem auch erinnerungsreich von Lese-Freund Dr. Volker Busse moderiert.
Alles begann 1986 im Umfeld der Beisetzung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, an der sowohl Kohl als auch Honecker teilnahmen. Während Kohl sich mit einer knappen Begrüßung Honeckers begnügte und sich dann schnell entfernte, blieb der ihn begleitende Regierungssprecher höflicherweise noch stehen. So entspann sich eben dieses lockere Gespräch mit Honecker über Fußball. Später fragte Kohl Ost, worüber er sich mit Honecker denn noch unterhalten habe: über Fußball im Westen. Kohl bemerkte, dass die eigentliche Wiege des deutschen Fußballs aber nicht im Ruhrgebiet, sondern in Dresden gestanden habe. Dort kickte bereits im April 1874 der „Dresdner Fußballclub“, der hauptsächlich aus englischen Spielern bestand.
Anlässlich des für Kohl nur schwer erträglichen Staatsbesuchs Honeckers in Bonn im folgenden Jahr kam das Gespräch dann eher zufällig wieder auf Fußball und dessen deutsche Wiege in Dresden, für Honecker natürlich Dynamo Dresden. Kohl deutete an, dass Ost fußballbegeistert sei und gerne ein Spiel in Dresden besuchen wolle, aber nicht allein, sondern zusammen mit ihm, Kohl. Der verdutzte Honecker sagte zu.
Im Mai 1988 war es dann so weit. Die Staatssicherheit der DDR jedoch wusste weder genau, wo Kohl die Grenze überqueren würde noch wie die konkrete Route aussehen sollte. Vorsorglich wurden deshalb alle touristischen Anziehungspunkte im Auge behalten und, als Präventivmaßnahme, für den allgemeinen Besucherverkehr gesperrt. Über Gotha ging es nach Erfurt, wo Kohl den Dom besuchte. Dort gelang es ihm, zur Überraschung der verdutzten Staatssicherheit, aber auch von dort anwesenden Studenten, im Priesterseminar ohne „staatsoffizielle“ Beobachtung mit den Teilnehmern des Seminars offen über die Lage der Christen in der DDR und anderen Ostblockstaaten zu reden. Angesprochen wurde dabei der Umstand, dass das Dach des Seminars nur mit Westdevisen erneuert werden könne. Kohl versprach Abhilfe (die auf dem Umweg über Essener Adveniats - Spenden dann auch gelang).
Weiter ging es nach Weimar; auch hier gelang es Kohl oft, mit Bürgerinnen und Bürgern, vor allem jungen Leuten spontan ins Gespräch zu kommen (und so die Staatssicherheit zu düpieren, die mit großem Aufwand überall präsent sein wollte, aber den genauen Reiseverlauf ja nicht kannte). Im eigentlichen Reiseziel Dresden fand Kohl ebenfalls viele Kontakte zu Menschen vor Ort wie etwa auf dem Markt). Schließlich wollte die Staatssicherheit den Besuch des Fußballspiels Dresden gegen Jena mit dem dünnen Argument verhindern, das Stadion sei leider ausverkauft. Trotzdem gelang der Besuch: Archivbilder zeigen den Bundeskanzler beim fleißigen Schreiben von Autogrammen.
Und auch während eines Besuchs der Semperoper gelang es Kohl, aus seinem „abgesperrten“ Komfortbereich „auszubrechen“ , was viele DDR-Bürgerinnen und -bürger nutzten, um ihm und seiner Frau, aber auch den Fahrern Zettel mit Ausreisewünschen zuzustecken. So gut wie alle diese Ausreisewünsche konnten später erfüllt werden, allerdings gegen reichlich Westdevisen.
Nachfragen aus dem Publikum
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Wer nahm von Bonner Seite an der Fahrt teil? – Neben dem Bundeskanzler seine Frau und sein Sohn Peter, ferner Regierungssprecher Ost und Abteilungsleiter Bergsdorf, dazu zwei Fahrer; regelmäßig begleitet von mehreren Fahrzeugen der DDR-Staatssicherheit.
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Was war vorab verabredet, was spontan? – Fest standen neben Übernachtungen eigentlich nur der Besuch des Fußballspiels und der Semperoper in Dresden, der Rest verlief spontan – mit dem Ergebnis, dass die DDR-Sicherheit alle potentiellen Besuchsziele wie Museen, Schlösser und Gedenkstätten mit großem Personalaufwand beobachten und ggf. für den allgemeinen Besuchsverkehr schließen ließ. Kohl ließ jedoch viele traditionelle Besuchsziele einfach links liegen und besuchte lieber spontan etwa einen öffentlichen Markt oder, wie berichtet, in Erfurt das Priesterseminar.
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Waren die Medien vorab informiert? – Nein, weder auf West- noch auf Ostseite. Kohl wollte keinen journalistischen Begleittross, ihm ging es nicht um „schöne Bilder“, sondern um möglichst unverfälschte Eindrücke vom Leben und Denken der Bürgerinnen und Bürger der DDR. Das Material in späteren Filmen über die Reise stammt ausschließlich aus Archivbeständen der DDR-Sicherheit, die vorsorglich alles gefilmt hatte.
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War ein Treffen mit Honecker geplant? – Ausdrücklich nicht, Kohl wollte Honecker schon in Bonn nicht empfangen und dachte kurzzeitig sogar an Rücktritt; einziger Beweggrund für den Empfang Honeckers in Bonn war letztlich der Wunsch, den Menschen in der DDR vielleicht konkret helfen zu können.
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Wichtigstes Ergebnis der Reise? – Kohl wollte einen unverfälschten Eindruck gewinnen, wie die Menschen vor Ort „drauf waren“, was sie bedrückte, was sie wollten. Grundeindruck war für Kohl, dass trotz und entgegen aller offiziellen Propaganda der DDR die Menschen das Gefühl hatten: Wir gehören zusammen. Kohls Schlussfolgerung: Die Durststrecke bis zu einer möglichen Wiedervereinigung müsse möglichst kurz gehalten werden, jedenfalls müsse es politisch klar und deutlich in diese Richtung gehen.
Ein Bericht von Dr. Klaus Meyer-Teschendorf/Foto: Schäfer