Palästinensisch - israelische Tragödien - Der Vorsitzende des Palästina - Forums Bonn, Aref Hajjaj bei der LESE

Palästinensisch - israelische Tragödien - Der Vorsitzende des Palästina - Forums Bonn, Aref Hajjaj bei der LESE

 

Dr. Aref Hajjaj stammt aus Jaffa, einst berühmt für die von dort in alle Welt exportierten Orangen, heute ein Stadtteil von Tel Aviv. Er hat in Heidelberg Politikwissenschaft, Geschichte und Völkerrecht studiert und drei Jahrzehnte für das Auswärtige Amt als Übersetzer gearbeitet. Er ist Vorsitzender des Palästina-Forums Bonn. In der LESE sprach er jetzt in Anwesenheit eines Fernsehteams des NDR (Panorama) über

 

"Blutige Eskalation in Israel-Palästina – gibt es dennoch konkrete Zukunftsaussichten?

 

Einleitend wies er darauf hin, dass das eigentliche Elend Palästinas mit „dem 1967 von dem ägyptischen Staatschef Nasser provozierten“ Sechs-Tage-Krieg begonnen habe, den die Araber – wie sämtliche Kriege seit 1945 - verloren hätten. Seither herrsche in Palästina eine große Frustration.

 

In der westlichen Welt würden als Opfer stets die Juden wahrgenommen, während die Palästinenser als Nation nicht akzeptiert würden. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu sei ein Opportunist, dem es in erster Linie um seinen Machterhalt gehe. In seinem Kabinett säßen indessen radikale Nationalisten, deren Ziel es sei, die Palästinenser entweder zu vernichten oder zu vertreiben. Der stellvertretende Ministerpräsident habe als Terrorist im Gefängnis gesessen.

 

Die letzte demokratische Wahl in Palästina habe 2006 zu einem Wahlsieg der Hamas mit absoluter Mehrheit geführt. Diese Zustimmung sei freilich rasch zurückgegangen und habe vor dem 7. Oktober 2023 unter 30 Prozent gelegen. Seither habe es in Gaza 31.000 Tote gegeben, davon rund 75 Prozent Zivilisten.

 

Es sei zu einer Eskalation des Terrors auf beiden Seiten gekommen. Die abscheulichen Massaker vom 7.Oktober seien von Teilen der arabischen Bevölkerung geradezu bejubelt worden. Die Hamas benutze Zivilisten als Schutzschilder, stelle aber in Gaza, das über keine Bunker verfüge, seiner Bevölkerung die zahlreichen Tunnel nicht zum Schutz vor Bombenangriffen zur Verfügung. Das danach von Israel angerichtete Gemetzel hätte aber auch verhindert werden müssen.

 

Deutschland und die EU hätten sich in dem Konflikt bislang eklatant einseitig verhalten. Der Westen habe es bei einem sanften Druck auf Israel belassen, das Ergreifen von Sanktionen aber nicht diskutiert und weiterhin an Israel Waffen geliefert.

 

Die rechtsextremistischen Teile der israelischen Regierung plädierten offen dafür, Palästina komplett zu annektieren. Der oft gehörte Satz, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, sei nicht falsch. Eine wirkliche Demokratie sei es aber allein für die jüdischen Staatsbürger. Die Araber in Israel hätten immerfort mit Nachteilen im bürokratischen Alltag zu rechnen. Der deutsche Journalist Thomas Avenarius habe in der SZ mit Recht von einer Apartheid-Situation gesprochen.

 

Die palästinensische Führung sei seit 2002 gespalten in die Anhänger der Hamas und der Fatah (vormals PLO). Es sei dringend erforderlich, dass es sobald wie möglich Neuwahlen in Palästina gebe. Ein politischer Hoffnungsträger sei der inzwischen gemäßigte Maran Baruti, der aber als Terrorist in Israel im Gefängnis sitze.

 

Die deutsche Politik halte aus Gründen des schlechten historischen Gewissens in nicht akzeptablem Ausmaß zu Israel, was sogar als Staatsräson ausgegeben werde. Der deutsche Bundespräsident tue sich dabei leider hervor. Die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag finde bedauerlicherweise keine Unterstützung. Dem Hilfswerk der Vereinten Nationen sei die Unterstützung entzogen worden, obgleich der Vorwurf der einseitigen Bevorzugung der palästinensischen Seite nur einigen Wenigen der insgesamt 2500 Mitarbeiter gemacht werden könne.

 

Was die Zukunft angehe, sei es inakzeptabel, den Zustand wiederherzustellen, der vor dem 7. Oktober bestanden habe. In den besetzten Gebieten seien die Palästinenser persönlichen Angriffen ausgesetzt gewesen. Mit ihrem Wunsch der Vertreibung aller Palästinenser dürfe die extreme Rechte Israels keinen Erfolg haben. Die lange von ihm selbst favorisierte Zwei-Staaten-Lösung sei inzwischen nicht mehr realistisch. Die von der israelischen Regierung seit vielen Jahren geduldete Besiedlung der Westbank könne bei realistischer Betrachtung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Er setze daher wie der Philosoph Omri Böhm seine Hoffnung auf einen föderalistisch verfassten einheitlichen Staat, den er Abraham/Ibrahim nennen wolle.

 

In der Diskussion wurde Hoffnung aus dem Umstand gewonnen, wie bei kulturellen Begegnungen junge Menschen aus Israel und Palästina sich verständnis- und respektvoll begegnet seien, und wie es Daniel Barenboim gelungen sei, Musiker aus beiden Ländern zu gemeinsamen Konzerten zusammenzuführen.

 

Auf die Frage, welche politischen Vorteile die Hamas sich mit der Aktion vom 7. Oktober erhofft habe, entgegnete Dr. Hajjaj, sie sei von der militärischen Führung der Hamas in Gaza ohne Abstimmung mit der politischen Führung, die sich seit Jahren in Katar aufhalte, beschlossen worden. Man habe aber keinen Plan B gehabt, wie es nach dem eigenen Angriff habe weitergehen sollen. Zu konstatieren sei aber, dass die zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geratene Palästinafrage wieder auf die Bühne der Weltpolitik zurückgekehrt sei.

 

Der Referent erhielt für seine besonnen argumentierende Art, die gleichwohl vor eindeutigen Aussagen nicht zurückschreckte, verdienten Beifall. Es war ihm gelungen, auf einem schwierigen Terrain einen sachlichen Diskurs zu führen. (E.S.)