Festlicher Kant - Abend bei der LESE Udo di Fabio brilliert mit faszinierendem Festvortrag

Festlicher Kant - Abend bei der LESE Udo di Fabio brilliert mit faszinierendem Festvortrag

 

 

Passend zum 75. Geburtstag eines der größten abendländischen Philosophen, Immanuel Kant, der am 22. April 1724 in Königsberg als Sohn eines Sattlers geboren worden war, und zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland hatte die Bonner Lese- und Erholungsgesellschaft von 1787 in den festlich geschmückten Rheinsaal des Hotels Königshof geladen. Exakt 300 Jahre später erinnerten sich 80 Mitglieder und Freunde der LESE mit einem festlichen Kant-Abend an dieses Ereignis. 63 Jahre nach Kants Geburt war unsere Gesellschaft von Bürgern gegründet worden, die sich an seinen Vorstellungen eines mündigen, freien Denkens orientierten.

 

In einem Grußwort betonte Bürgermeisterin Gabi Mayer für die Stadt Bonn, wie wichtig Bürgergesellschaften mit ihrem ehrenamtlichen Engagement für das vitale Gedeihen einer Kommune seien. In seiner Begrüßung erinnerte der Vorsitzende der LESE, Dr. Emil Schwippert, daran, wie viele namhafte Mitglieder die Gesellschaft im Laufe ihrer langen Geschichte gehabt habe. Das mit Abstand weltweit bekannteste Mitglied sei immerhin Karl Marx gewesen. In einem berühmten, noch heute viel zitierten Diktum habe dieser – ohne übertriebene Bescheidenheit – erklärt, bislang hätten die Philosophen die Welt immer nur interpretiert, es komme aber darauf an, die Welt zu verändern .Damit habe er den langen Atem der Wirkungsgeschichte von Immanuel Kant grob unterschätzt. Dessen Gedanken hätten nicht nur die Charta der Vereinten Nationen, sondern auch unser jetzt 75 Jahre altes Grundgesetz maßgeblich geprägt.

 

Wie viel Kant im Grundgesetz steckt, erläuterte anschließend Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio in seiner beeindruckenden Festansprache. Als Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, langjähriger Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und Verfasser zahlreicher Schriften im Schnittbereich von Recht, Geschichte und Politik zeigte er sich als für diese Aufgabe in besonderer Weise prädestiniert.

 

Das Grundgesetz beginne in seinem Art. 1 mit der fundamentalen Feststellung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Immanuel Kant aber sei freilich nicht der Erfinder dieses zentralen Gedankens, denn schon 1496 habe Pico de la Mirandola in Florenz eine „Rede über die Würde des Menschen“ veröffentlicht. Seine Schrift beginne mit dem Zitat „Ein großes Wunder ist der Mensch.“ In seiner Freiheit zur Gestaltung und zur Willenswahl liege seine besondere Würde; er könne zum Tier entarten oder zum Engel werden. Nach der Einschätzung von Carl Jacob Burckhardt sei diese Schrift der eigentliche Beginn der Renaissance.

 

Indem das Grundgesetz den Satz von der Würde des Menschen und die daraus sich ableitenden Grundrechte an den Anfang gestellt habe, habe sie dieses Menschenbild zum Angelpunkt der Verfassung gemacht. Folgerichtig sei in Art. 79 Abs. 3 bestimmt, dass diese Grundsätze unabänderlich seien, auch nicht von einer noch so großen Mehrheit. So wie Kant in seiner Philosophie die Freiheit des Menschen mit begleitenden sittlichen Pflichten eingegrenzt habe, so kenne auch das Grundgesetz keine Freiheit ohne Schranken. Die Grundrechte könnten immer nur soweit gelten, wie sie die berechtigten Belange der anderen – gleichberechtigten – Menschen nicht verletzten.

 

Die Konzeption des Grundgesetzes weiche erheblich von der Einordnung in der Weimarer Verfassung ab. Sie habe nach der Behandlung der Institutionen des Reichs in einem hinteren Bereich zwar auch Grundrechte erwähnt. Damit seien aber keine bei einem Verfassungsgericht einklagbaren Ansprüche verbunden worden; es sei bei programmatischen Bekanntmachungen verblieben.

 

Di Fabio bekräftigte, dass die beste Verfassung ihr Überleben mit ihren zentralen Werten nicht garantieren könne. Ihr Fortbestand sei davon abhängig, dass ihre Werte in der Gesellschaft in ausreichendem Maße geteilt würden. Finden im Staatsvolk die Gedanken von Menschenwürde, Demokratie und Gewaltenteilung keine Resonanz mehr, könne die geschriebene Verfassung zu einem im Tagesgeschehen wertlosen Papier werden. Eine derzeit nicht verlässlich zu beantwortende Frage sei auch jene wie die künstliche Intelligenz im Falle ihrer weiteren Perfektionierung unsere Vorstellungen vom Bild des Menschen verändern würden.

 

Das Publikum bedankte sich bei dem glänzenden Festredner mit langanhaltenden Beifall. Angeregte Gespräche über Kant sowie Gott und die Welt krönten einen Abend, der als ein absoluter Höhepunkt in die Geschichte der LESE eingehen wird. (E.S.)